„Familienstellen – Was ist das eigentlich?“

Dieses Interview erschien in der Zeitung der Freien Schule Dreisamtal in Kirchzarten.

FSD = Freie Schule Dreisamtal, WB = Wolfgang Bracht

FSD: Sie sind Familiensteller. Können Sie mit wenigen Worten erklären, was Familienstellen ist?

WB: Das Familienstellen findet in der Regel in einer Gruppe statt, von denen einige eine „Aufstellung“ machen. Aufstellung bedeutet, dass die Person, die aufstellt, zu einer bestimmten persönlichen Thematik StellvertreterInnen aus der Gruppe als „Schauspieler“ auswählt und diese in Beziehung zueinander stellt. Indem die ausgesuchten StellvertreterInnen zu den entsprechenden Personen, die sie darstellen, „werden“, entfaltet sich eine Dynamik, die die Ursachen von bestimmten Problemen und Schwierigkeiten an´s Licht bringt und Lösungswege aufzeigt.

FSD: Was bedeutet das: sie „werden“ zu den Personen?!

WB: Sie nehmen die gleiche Körperhaltung ein, bekommen spezifische körperliche Symptome und fühlen, denken und sprechen wie diese.

FSD: Wie erklären Sie sich das?

WB: Es gibt einige Erklärungsmodelle hierfür, doch habe ich mittlerweile aufgehört, es erklären zu wollen. Ich sehe, dass es einfach „funktioniert“.
Was es mir zeigt ist, dass wir alle auf einer tiefen unbewussten Ebene miteinander verbunden sein müssen und viel, viel mehr voneinander wissen, als wir mit unserem Verstand erahnen können.

FSD: Hört sich spannend an!

WB: Dieses Erleben des Miteinanderverbundenseins in der Gruppe ist tatsächlich eine sehr eindrückliche Erfahrung. Eine Frau sagte einmal in der Schlussrunde, dass sie sich mit jedem Einzelnen in der Gruppe näher fühlt als mit Ihrer Nachbarin, zu der sie seit zwanzig Jahren ein gutes Verhältnis hat!

FSD: Wer kommt alles zu Ihnen und mit welchen Themen?

WB: Die jüngste Teilnehmerin war 14, die älteste 78. Die Themen reichen von Schwierigkeiten mit den Eltern, Geschwistern, Partnern oder Kindern über fehlende Partnerschaft, Krankheit oder Geldprobleme bis hin zu tiefen persönlichen Konflikten, die sich in Süchten, Depressionen, Selbstmord-Gedanken etc. ausdrücken.

FSD: Was kann das Familienstellen dabei bewirken?

WB: Zunächst einmal gibt es eher „oberflächliche“ Aufstellungen mit pragmatischen Lösungen. So kann es sein, dass bei einer problematischen Beziehung klar wird, was gut und förderlich ist oder bei einer Krankheit sich die darin enthaltene Botschaft zeigt mit entsprechenden Handlungs- und Heilungsschritten.
Bewegender sind jedoch die Aufstellungen, in denen wir die tiefen Ursachen von Konflikten aufdecken und heilen. Hierzu muss ich etwas weiter ausholen: Nicht selten sind wir mit Personen aus unserem Familiensystem „verstrickt“, wobei zu diesem auch all diejenigen gehören, denen durch Familienmitglieder ein großer Schaden zugefügt worden ist, z.B Opfer im 3. Reich. „Verstrickt“ bedeutet, dass wir mit einer Person (manchmal auch mehreren Personen!) so eng verbunden sind, dass wir einen bedeutenden Teil ihres Schicksals nachleben.
Ist jemand beispielsweise mit einer Person verstrickt, die immer unglückliche Beziehungen erlebt hat, so wird auch er/ sie immer wieder unglückliche Partnerschaften erleben bis diese Verstrickung gesehen und aufgelöst wird.

Eine Verstrickung kann sich sogar bis hin zu Krankheiten auswirken. Hier ein Beispiel von einer sehr bewegenden Aufstellung: Vor einem Jahr kam ein Mann zu einer Aufstellung zu mir mit massiven Rückenproblemen, wegen denen er bereits zahlreiche Spezialisten konsultiert hatte. In der Aufstellung zeigte sich eine Verstrickung mit seinem Großvater, der in der SS war und viele Opfer auf dem Gewissen hatte. Nachdem er die Schuld seinem Großvater zurückgegeben hatte (er glaubte, diese an dessen Stelle tragen zu müssen) und sich vor den Opfern mit vielen Tränen verneigt hatte (was eigentlich der Großvater hätte tun müssen!), fühlte er sich unendich erleichtert.
Am nächsten Morgen rief er mich an um zu erzählen, dass er sich am Abend in´s Auto gesetzt hat und es plötzlich laut in der Wirbelsäule geknackt hat, woraufhin sein Rücken „wie durch ein Wunder“ frei war! Die Verstrickung mit dem Großvater und dessen fehlende Verneigung vor den Opfern war somit die unbewusste Ursache seiner Rückenschmerzen.

FSD: Gibt es auch weniger spektakuläre Beispiele?

WB: Klar, viele, doch ist das kein Einzelbeispiel.

FSD: Sie haben vorhin davon gesprochen, dass man Schwierigkeiten mit den Kindern klären kann. Können sie dazu mehr sagen?

WB: Das eine ist, dass das Familienstellen hilft, ungelöste Konflikte und „blinde Flecken“ zu klären, die uns daran hindern, liebevolle, präsente Eltern zu sein und unsere Kinder so wahrzunehmen, wie sie sind und sie darin zu unterstützen.
Zum andern kann es aber auch sein, dass unsere Kinder auf Grund von Verstrickungen nicht „sie selbst sind“ und unter unerklärlichen Ängsten und Depressionen leiden, übermäßig gewalttätig sind (was oft Folge einer „Täterverstrickung“ ist!) oder sich den Eltern gegenüber respektlos verhalten.
Wir als Eltern können dabei für unsere Kinder eine Aufstellung machen, die dann unmittelbar auf diese zurückwirkt. Dabei gibt es eine altersmäßige Begrenzung, die bei ca. 14 Jahren liegt, je nach Entwicklungsstand des Kindes auch etwas jünger oder älter.

FSD: Gibt es auch Negatives zu berichten?

WB: Nicht wirklich bis jetzt, höchstens, dass jemand die Aufstellung nicht „nimmt“ und nichts passiert, wobei ich mittlerweile schon während der Aufstellung darauf achte, wie sehr der/ diejenige „mit in der Aufstellung ist“.
Ein immer wieder hervorgebrachter Kritikpunkt beim Familienstellen ist, dass die Nachbereitung fehlt. Auf Grund dessen biete ich die Möglichkeit zu einer tlefonischen Nachbesprechung an. Außerdem besteht die Möglichkeit der Einzelarbeit, die neben den Aufstellungen immer mehr genutzt wird.

FSD: Wie sieht so eine Einzelsitzung aus?

WB: Zunächst einmal sprechen wir miteinander und stellen dann gemeinsam auf, indem wir in bestimmte Rollen gehen und in Interaktion treten. Um das Aufstellen zu erleichtern, ist häufig meine Partnerin mit dabei

FSD: Gibt es irgendwelche Schwerpunkte in Ihrer Arbeit?

WB: Nicht wirklich, ich gehe mit dem, was sich zeigt. Eine besondere Fähigkeit von mir ist die Begleitung und Heilung von Schocks und Traumata.

FSD: Vielen Dank für unser Gespräch!

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